Freunden ein Stück Deutschland zeigen

Corinne Michard über europäische Partnerschaft


GNZ vom 10. Juni 2011, Freigericht. Am Wochenende steht die Gemeinde ganz im Geist der europäischen Verständigung. Mit einem reichhaltigen Programm wird das 40-jährige Bestehen der Partnerschaft mit St-Quentin-Fallavier gefeiert. Außerdem wird eine neue Freundschaft mit dem italienischen Gallicano nel Lazio besiegelt. Im GNZ-Interview spricht Corinne Michard über europäische Partnerschaft und welchen Stellenwert die Begegnung der Menschen aus unterschiedlichen Ländern hat. Michard ist Schriftführerin im Vorstand des Partnerschaftskomitees, gebürtige Französin und lebt seit 1986 in Gelnhausen. Seit 1989 gehört sie dem Komitee Freigericht an.

   GNZ: Corinne Michard, heute Abend erwartet das Komitee für Europäische Verständigung rund 120 Gäste aus Frankreich und Italien zur Verschwisterungsfeier in Freigericht. Was macht aus ihrer Sicht den Reiz einer solchen Begegnung zwischen Menschen aus drei Staaten aus?

Corinne Michard: Es ist die Gelegenheit, unseren französischen und italienischen Freunden mit der Gemeinde Freigericht ein Stück Deutschland zu zeigen. Die Bürger anderer Staaten in der EU sollten sich gegenseitig besuchen, um eigene Erkenntnisse über ihre Nachbachländer zu gewinnen und nicht nur typische Vorurteile oder vorgefertigte Meinungen zu übernehmen. Einen Einblick, was Deutschland ausmacht und was Deutsche an Gastfreundschaft zu bieten haben, lässt sich durch Aufenthalte in Familien besser erfahren als durch den Besuch typischer deutscher Sehenswürdigkeiten. 

     Das heißt, die persönliche Begegnung ist wichtig?

Die Begegnung bietet Gelegenheit, ein Stück seines Lebens mit Menschen zu teilen, mit denen man ohne Partnerschaft nie in Kontakt gekommen wäre. In Zeiten der Globalisierung und der Verlagerung der Arbeitsplätze ins Ausland kann jeder von uns im Ausland arbeiten. Vor diesem Hintergrund können vorherige Kontakte mit Menschen anderer EU-Staaten eine gute Hilfe sein.

    Wo prallen im Alltag trotz ähnlicher Kulturen noch Welten aufeinander?

Es prallen keine Welten mehr aufeinander  Das klingt zu negativ. Durch die Industrialisierung, durch das moderne Leben und durch die Konsumgesellschaft ist vieles sehr ähnlich. Ich würde eher von unterschiedlichen Sensibilitäten sprechen: Eine ganz unterschiedliche Sensibilität ist das Verhältnis zur Umwelt. Das lässt sich gerade an der Frage der Zukunft der Atomkraftwerke in Europa erkennen. Eine andere Sensibilität ist die Art, Zukunft zu planen. 

    Haben die Unterschiede zwischen Franzosen und Deutschen über die Jahre abgenommen?

Deutsche planen jahrelang im Voraus. Aus deutscher Sicht ist das verständlich, aber es muss zum Beispiel den Franzosen gut erklärt werden, dass die Planung des deutschen Komitees für europäische Verständigung für die nächsten eineinhalb Jahre schon steht, wenn ein neues Projekt in Angriff genommen werden soll. Eine weitere Besonderheit ist beispielsweise der deutsche Föderalismus. Während bei uns die Bundesländer die Schulpolitik bestimmen, wird dies in Frankreich zentral aus einem Ministerium in Paris gesteuert. 

     Ist diese Völkerverständigung im Zeichen eines beständig friedlichen Europas überhaupt notwendig?

Ja, damit die immer noch typischen Vorurteile ständig weiter hinterfragt und beseitigt werden und damit die Bürgerinnen und Bürger der Länder sich von niemandem manipulieren lassen, sondern eine eigene Meinung haben. Es gibt nur Frieden, wenn ein Dialog der Bürgerinnen und Bürger existiert. 

     Sind das nicht nur fromme Wünsche?

Nein. Dass viele deutsch-französische Partnerschaften existieren, hat 1989 bei der Wiedervereinigung Deutschlands sehr geholfen. Die französische Bevölkerung hat damals mehr Vertrauen gezeigt als die französische Politik. Die Franzosen hatten schon damals einen guten Einblick in die deutsche Lebenswirklichkeit und wußten, dass eine Wiedervereinigung keine Bedrohung darstellen würde. 

     Vor 40 Jahren entstand die Verschwisterung mit St.-Quentin-Fallavier aus dem festen Willen der Jugend, den Deutsch-Französischen-Freundschaftsvertrag mit Leben zu füllen. Was trägt die Partnerschaft heute?

Die Jugend von damals ist älter geworden, aber immer noch aktiv. Das Ziel der Partnerschaft ist das gleiche geblieben: Junge Menschen aus verschiedenen Länder sollen sich treffen und sich austauschen, damit sich der Horizont von jedem erweitert. Dann können sie später zusammenarbeiten und gute gemeinsame Entscheidungen für Europa treffen.

     Wie würden Sie die Zukunftsaussichten für die Arbeit ihres Komitees beurteilen?

Wir wollen immer in kleinen Schritten denken. Wir hoffen, durch Jubiläumsfeste und Begegnungen und durch Öffentlichkeitsarbeit neue Leute zu finden, die an einer Mitarbeit interessiert sind. Die Ergebnisse unserer Arbeit werden in 20 oder 30 Jahren sichtbar sein, wenn sich dann Menschen engagieren, die heute 14 oder 16 Jahre alt sind und einen Austauch mit Italienern oder Franzosen mitmachen.

     Wenn sich die Gemeinde Freigericht mit einer weiteren Gemeinde eines Landes verschwistern könnte, welche Stadt würden Sie wählen – und warum?

Natürlich haben wir das nicht zu entscheiden, aber die Gemeinde eines Landes im Osten Europas wäre aus unserer Sicht gut, beispielsweise in Polen oder Rumänien. Die deutsch-französische Freundschaft ist nach der Versöhnung weit gediehen, Deutschland und Frankreich sind vertrauensvolle Partner. In den Ländern im Osten Europas sollte dasselbe Gefühl entstehen, damit sich die Bürger in Europa integriert fühlen und die Politik der EU aktiv mitgestalten. 

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